Sprachförderung – Etta Wilken

von Bernadette Wieser, nach einem Vortrag von Dr. Etta Wilken sowie nach deren Buch “Sprachförderung bei Kindern mit DS”

Das Sprechenlernen stellt für zahlreiche Kinder mit Down-Syndrom eine große Anforderung dar. Die Entwicklung von aktiver (Sprachausdruck) und passiver (Sprachverständnis) Sprache ist verzögert und zeigt einen deutlichen Rückstand zur Ausdrucksfähigkeit gewöhnlicher Kinder.

 

Dr. Etta Wilken: “Die verzögerte und abweichende Sprachentwicklung und die speziellen Auswirkungen auf Kommunikations- und Spielsituationen sind ein besonderes Problem des kleinen Kindes. Eine syndromsspezifische Sprachförderung im Rahmen einer ganzheitlichen Entwicklungsförderung ist deshalb eine vordringliche Aufgabe in diesem Alter.”

Grundlagen der Sprachentwicklung nach Dr. Wilken

1. Motorisch funktioneller Bereich 

1.1 Die Primärfunktionen

Das Sprechenlernern beginnt nicht mit dem ersten Wort des Kindes, sondern bereits im Mutterleib! Hier trainiert das Ungeborene die sogenannten Primärfunktionen der Sprechorgane, wie Saugen und Schlucken.

 

Beim Stillen oder Fläschchentrinken stärkt es zusätzlich seine Zungen- und Lippenbeweglichkeit. Der Übergang zur festen Nahrung schult die Kaubewegungen. Laut einer aktuellen holländischen Studie werden Kindern mit Down-Syndrom etwa 6 Monate später als ihren gewöhnlichen Altersgenossen feste Nahrungsmitteln, wie Semmeln, Brot oder Obst angeboten.

 

Zwar stimme es, dass Kinder mit Down-Syndrom häufig später Zahnen, dies sollte jedoch kein Grund dafür sein, allzu lange ausschließlich breiige Nahrung zu servieren. Bereits lange Zeit vor dem Durchbruch des ersten Zahns ist das Zahnfleisch sehr hart und gut gerüstet zum “Schaben” fester Gegenstände. Sie können also ihrem etwa einjährigen Kind mit Down-Syndrom – unter ihrer Aufsicht natürlich – getrost harte Leckerbissen in die Hand geben und, diese zu Beginn vorsichtig zu seinem Mund führen. Wahrscheinlich wird es sich zunächst wundern, aber mit zunehmender Übung erfreut sein über die neuen kulinarischen Genüsse, die es nun kennenlernen darf.

“Es können mit einem, an einem Band befestigten Knopf, die seitlichen Zungenbewegungen als Voraussetzung für das Kauen geübt werden, und erst dann erfolgt eine Übertragung auf das Kauen von Nahrung”. (Wilken, S. 135)

1.2 Atmung

Viele Kinder mit Down-Syndrom bevorzugen eine flache Mundatmung, zum einen als Gewohnheit aufgrund des häufig geöffneten Mundes, zum anderen als Notwendigkeit aufgrund der vielfach verstopften Nase. (Ein Dauerschnupfen macht Nasenatmung unmöglich, der Mund muss geöffnet werden). Mit Hilfe von kleinen Gegenständen (zum Beispiel Strohhalm zwischen den Lippen halten) soll das Kind allmählich auch mit der Atmung durch die Nase vertraut gemacht werden. Pusten (kleine Wattebälle, Papierkugeln und vieles mehr) sowie das Üben des Schnäuzens stellen ebenfalls wichtige motorisch funktionelle Grundlagen der Sprachentwicklung dar.

1.3 Ausdrucks- und Funktionslaute:

Schreien, Gurren, Lachen, Quietschen, Schnalzen, die unnachahmlichen Lautverbindungen und schließlich das Lallen ebnen dem Kind den Weg zum ersten Wort. Dieses wird von seiner Umgebung meist heiß ersehnt, doch trotz des verspäteten Sprechbeginns verfügt das Kind mit Down-Syndrom gewöhnlich schon über ein gut entwickeltes Sprachverständnis und befolgt liebevolle Aufforderungen wie “Komm, Gib, Nimm” und vieles mehr.

 

Es ist entscheidend, diese mit den entsprechenden Gesten zu kombinieren, damit das Kind über zwei Kanäle, Augen und Ohren, die Informationen aufnehmen und verarbeiten kann. Bereits der Säugling kommuniziert – Schreien, Quietschen oder Brabbeln haben den Charakter einer Botschaft und sollten von den Eltern stets beantwortet werden.

2. Kognitiver und sozioemotionaler Bereich

Ganz entscheidend, beeinflusst durch die Beachtung und Anregung von Seiten der Eltern, entwickeln sich die Wahrnehmungsfähigkeit, die Aufmerksamkeit und das Interesse des Kindes.

 

Als Antwort auf die kindlichen Äußerungen sollten Sie versuchen, bereits bei Ihrem Baby auf Blickkontakt zu achten und Möglichkeiten zur Nachahmung zu bieten. Lächeln, Lippenbewegungen, Grimassieren regen jedes Kind zur Imitation an und bieten dem Säugling mit Down-Syndrom wichtige Interaktionsmuster. Durch Handeln und Sprechen gelangt das Kind zum Sprachverständnis, das wiederum die Grundlage der Sprachproduktion bildet.
“Der Beginn der Sprache liegt im gemeinsamen Tun, in mit Menschen und konkreten Gegenständen gemachten Erfahrungen.”

 

Dr. Etta Wilken schlägt den Einsatz von sprachbegleiteten Gebärden vor, die wiederum neben dem akustischen, den visuellen Teil der Wahrnehmung ansprechen und so deren Aufnahme verbessern. Wenn die Eltern konsequent wichtige Begriffe mit Gebärden begleiten, steht auch dem Kind durch deren Nachahmung bereits in der vorsprachlichen Phase eine entscheidende Ausdruckshilfe zur Verfügung. Dr. Wilken betont, dass die Kinder auf den Einsatz der Gebärde verzichten, sobald sie das entsprechende Wort auszusprechen imstande sind.