von Dr. Bettina Baltacis
Verdachtsdiagnose
Sehr häufig ergibt sich der Verdacht auf das Vorliegen einer Trisomie 21 sozusagen auf den ersten oder zweiten Blick nach der Geburt. Ausnahmen können vor allem bei Frühgeborenen, manchmal auch bei Kindern asiatischer Herkunft bestehen.
Charakteristische Merkmale sind ein grenzwertig mikrocephaler, meist eher kurzer Schädel mit breitem Übergang zum Nacken, dessen Haut oft locker wirkt. Nach lateral ansteigende Lidachsen sowie das Vorliegen eines Epicanthus, ein flaches Mittelgesicht mit kleiner, flacher Nase und eine Tendenz zum Herausstrecken der Zunge sind weitere Hinweise. Nicht selten wirkt die Haut marmoriert, auch bei sonst guten Zirkulationsverhältnissen. An den Händen findet sich häufig eine quer über die ganze Handfläche durchlaufende Linie (Vierfingerfurche), an den Füßen ein erweiterter Abstand zwischen Großzehe und zweiter Zehe (Sandalenlücke), der sich oft in eine Längsfurche an der Sohle fortsetzt. Besonders augenfällig ist aber das Haltungs- und Bewegungsmuster, das bereits in den ersten Lebensminuten beobachtet werden kann, wenn das Baby nicht deutlich deprimiert ist: es überstreckt den Rumpf und zeigt ausfahrende Bewegungen der oberen Extremitäten, die schließlich oft in Überstreckung an die Unterlage gepresst werden (ähnlich der ersten Phase des Mororeflexes). Jede kleine Bewegung kann zu Stabilitätsverlust mit mehr oder minder heftigen Ausgleichsbewegungen der Extremitäten und des Kopfes führen.
"Wie sag ich es?"
Unmittelbar nach der Geburt kann bereits der Verdacht im Raum stehen, dass mit dem Neugeborenen “etwas nicht stimmt” (siehe Phänotyp). Leider neigen nach wie vor viele involvierte Fachkräfte, Hebammen ebenso wie Ärzte oder Pflegepersonal, dazu, das Kind von der Mutter wegzubringen. Das ist nur dann berechtigt, wenn sich die cardiorespiratorische Adaptation verzögert und eine Intervention notwendig wird. In allen anderen Fällen wäre es sehr wünschenswert, den Eltern die Möglichkeit zum Bonding mit ihrem Baby zu geben. Bei klinisch gutem Zustand besteht keine Notwendigkeit zur routinemäßigen Überwachung am Pulsoxymeter.
Aus Anamnesegesprächen lässt sich ableiten, dass es von Müttern bzw. Eltern als wesentlich belastender empfunden wird, wenn Interventionen erfolgen und Unruhe um das Baby entsteht, sie aber nicht die Gelegenheit hatten, selbst ihr Kind kennen zu lernen. Daraus folgt aber die Notwendigkeit, schon in dieser Phase auf Fragen der Eltern offen zu antworten bzw. eine Trennung von Mutter und Kind mit einer ebenso klar formulierten Argumentation zu belegen. Falls es wirklich nicht möglich ist, dem Baby unter Beobachtung die Chance zur Adaptation im Hautkontakt mit der Mutter zu geben, wäre es gut, zu erklären, warum eine Versorgung durch die Kinderärztin/den Kinderarzt und eine Beobachtung auf der Neugeborenenstation nötig ist.
Was in Berichten betroffener Mütter oder Eltern oft als traumatischstes Erlebnis beschrieben wird, ist die Tatsache, dass offenbar “alle etwas wissen, aber keiner mit mir/uns darüber reden will”. Das führt unter Umständen zu so schrecklichen Phantasien, dass die Mitteilung, es bestehe der Verdacht, dass das Neugeborene Down-Syndrom habe, in einzelnen Fällen sogar als eine “Erleichterung” wahrgenommen wurde, weil damit das Problem auf eine konkretere Ebene gebracht werden kann.
Jedenfalls ist es wichtig, über diesen Verdacht und die daraus folgenden Konsequenzen – von Abnahme eines Chromosomenbefundes bis zu begleitenden Fehlbildungen, die eine Verlegung des Kindes auf die Neonatologie oder in ein anderes Krankenhaus nötig machen – wenn irgend möglich mit beiden Eltern gemeinsam und vor allem in Gegenwart des Kindes zu sprechen. Idealerweise hat es bis zu diesem Zeitpunkt für die Mutter/die Eltern schon Gelegenheit gegeben, möglichst ungestörten Kontakt mit ihrem Kind zu haben, sei es noch im Kreißsaal oder in der Phase danach. Das leider nach wie vor vorhandene Konzept, die Mutter zu “schonen” indem man den Kontakt zwischen Mutter und Kind minimiert und die Verdachtsmitteilung zurückhält, führt zum gegenteiligen Effekt.
Der/die gesprächsführende Arzt/Ärztin muss sich Zeit nehmen und soweit irgend möglich ein Gesprächsumfeld schaffen, in dem Ruhe und Intimität herrschen. Es lohnt sich, sich zuvor auch mit der eigenen, nicht nur fachlichen, sondern auch emotionalen Einstellung zum Thema auseinander zu setzen und gegebenenfalls eine zweite Person zum Gespräch mit einzuladen (z.B. Hebamme, Krankenschwester, Sozialarbeiterin, PsychologIn), die in der weiteren Betreuung der Familie in den folgenden Tagen oder Wochen zur Verfügung stehen wird. Ebenso ist es wichtig, bei einer Verlegung des Kindes in ein anderes Krankenhaus zu klären, ob die Mutter mit verlegt werden oder bereits entlassen werden kann und will, um ihr Kind besuchen und mitbetreuen zu können. Auch an dieser anderen Abteilung soll ein/e Ansprechpartner/in für die Eltern genannt werden, der/die die Familie durch die Zeit zwischen dem Ansprechen des Verdachts und der Besprechung des Chromosomenbefundes begleitet. Spätestens wenn dieser vorliegt, werden Gefühle von Enttäuschung, Trauer, Verzweiflung, aber auch Wut oder Schuldsuche auszuhalten sein, die durch die Geburt eines Kindes hervorgerufen werden, das nicht den Vorstellungen und Träumen entspricht, die die werdenden Eltern neun Monate lang hatten.
Weiterführende Information im Sinne von Broschüren, Literatur, Selbsthilfegruppen oder Kontakt zu betroffenen Familien kann man anbieten, am wichtigsten ist aber, für weitere Gespräche zur Verfügung zu stehen, da in den ersten Gesprächen immer eine große Menge an Fragen offen bleibt.
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