Patrick und Nicole
Erfahrungsbericht von Gudrun Krinner
Als vor 6 Jahren unser kleiner Sohn Patrick geboren wurde, traf uns die Diagnose Down-Syndrom wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Warum gerade wir? Wie wird die Zukunft aussehen? Uns war bewusst, dass sich unser Leben entscheidend ändern würde. Damals war unsere Tochter Nicole gerade 2 Jahre alt geworden. Sosehr hatte sie sich auf ihr Brüderchen gefreut, wollte es natürlich sofort im Krankenhaus besuchen. Ein Wunsch, den wir unserer kleinen Maus aber leider nicht erfüllen konnten, denn Patrick befand sich auf der Intensivstation der Kinderchirurgie des Landeskrankenhauses Graz.
Eine Missbildung im Darmbereich war diagnostiziert worden und eine sofortige Operation nötig. Da unser kleiner Floh auch zwei Herzfehler hatte (ein operativer Eingriff war nicht notwendig) und nur 1500g wog, musste er die ersten drei Wochen im Inkubator verbringen.
Nicoles Enttäuschung war riesengroß. “Warum darf ich nicht mit meinen Eltern meinen Bruder im Krankenhaus besuchen?” Eine von vielen Fragen die wir unserer kleinen Maus so verständlich wie möglich zu beantworten versuchten. Wie sollten wir ihr erklären, dass ihr so heiß ersehntes Geschwisterchen Down-Syndrom hatte? Wie würde sie in der Zukunft damit umgehen?
Viele solcher Gedanken kreisten in unseren Köpfen und auch die Sorge um die Genesung unseres Sohnes belastete uns sehr. Patrick hatte die Operation zwar sehr gut überstanden, doch die nächste Zeit würde erst zeigen, inwieweit es noch zu Problemen kommen könnte. Doch allen Zweifel zum Trotz schaffte es Patrick innerhalb kürzester Zeit an Gewicht zuzunehmen. Probleme mit der Verdauung traten keine auf und voller Freude konnten wir 6 Wochen nach Patricks Operation die Klinik verlassen. Nicole konnte zum ersten Mal ihr Brüderchen sehen und war ganz hin- und hergerissen von “diesem süßen kleinen Baby”. Voller Stolz stellte sie unseren Freunden und Verwandten Patrick vor, die uns zwar spärlich, aber doch, zu Hause besuchten. Patrick war ein ausgesprochen zufriedenes Baby. Es gab keine Schreizeiten, wie wir sie von Nicole gewohnt waren, und wurde er in seinem Bettchen munter, lächelte er uns an. Sofort nach der Entlassung aus der Kinderklinik haben wir mit einer Frühförderstelle Kontakt aufgenommen. Für Nicole war dies etwas ganz Neues.
Mit Freude erwartete sie jede Woche unsere Frühförderin, die mit Patrick spielte und auch Nicole immer wieder in die Übungen mit einbezog. Für mich persönlich war dies sehr wichtig, denn oft hatte ich doch Angst Nicole würde sich benachteiligt fühlen, da sich in den folgenden Wochen und Monaten fast alles nur um ihren Bruder drehen sollte. Sicher hat auch jede andere Mutter diese Sorgen, doch mich belastete dies sehr. Patrick machte zwar langsam, aber sicher seine Fortschritte und auch in unserer Familie kehrte wieder allmählich der Alltag ein. Wir waren eine ganz gewöhnliche Familie mit zwei süßen Kindern, die sich heiß liebten, aber manchmal auch in die Haare gerieten.
Patrick erlernte zwar alles langsamer, doch dies bereitete mir keine Sorgen. Ich hatte immer die Einstellung, und dies ist auch heute nicht anders, dass sich auch “gewöhnliche Kinder” in ihrer körperlichen und geistigen Reife unterschiedlich entwickeln.
Man muss Kinder mit Down Syndrom sicherlich fördern und sie in ihren Schwächen unterstützen, doch man muss ihnen ganz einfach die Zeit geben diese Schritte langsam, aber doch sicher zu machen. Dies wurde mir bei jedem Entwicklungschritt von Patrick bewusster.
Immer wieder kam es vor, dass ich schon ganz ungeduldig darauf wartete und unbewusst setzte ich mich und auch mein Kind damit unter Druck. Wenn der Zeitpunkt kam an dem ich mir dachte: “Lass Patrick einfach die Zeit, er braucht sie”, ging plötzlich alles wie von selbst. Patrick ist ein Kind, das erst wenn er seine Sicherheit hat, seinen nächsten Entwicklungschritt macht. So erlernte er das Gehen zwar erst mit 2 Jahren, doch zu diesem Zeitpunkt war er sich dann wirklich sicher und fiel aus diesem Grund nur mehr ganz selten auf die Nase.
Eine sehr schwierige Zeit für uns alle war Patricks Trotzphase. Da manche Kinder mit Down-Syndrom von Natur aus eigentlich schon sehr stur sein können, forderte diese Phase eine große Menge an Einfühlungsvermögen und sehr oft sahen mein Mann und ich uns an den Grenzen unserer Belastbarkeit.
Nicole kam zu diesem Zeitpunkt gerade in den Kindergarten. Für sie war es eine sehr aufregende Zeit, denn nun hatte sie neben ihrem Bruder auch noch andere Kinder als Spielkameraden. Für sie war der Einstieg in den Kindergarten überhaupt nicht schwierig, voller Freude ging sie jeden Tag in den Kindergarten. Ich jedoch empfand die Abnabelung von ihr umso schwieriger. Mein großes Mädchen war sehr früh selbstständig geworden und irgendwie hatte ich doch immer ein bisschen das Gefühl, dass dies doch mit dem Anderssein von Patrick im Zusammenhang stand.
Nicole ging in unseren Gemeindekindergarten. Dies war ein sehr schöner, neuer Kindergarten und die Tanten waren auch sehr engagiert. Im Laufe der Zeit wurde mir immer bewusster, dass dieser Kindergarten zwar für Nicole der richtige war, doch bei Patrick war ich mir da nicht mehr so sicher. Die Kindergartentanten waren ausgesprochen nett und hilfsbereit, wenn ich mit ihm im Kindergarten erschien. Doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie mit Patrick Mitleid hatten und dies wollte ich auf keinen Fall. Patrick war und ist ein Junge, der sehr wohl versucht mit seiner Mitleidsmasche seine Grenzen zu erweitern. Und diese Grenzen müssen bei ihm ganz klar und deutlich sein.
Ein weiterer Punkt, warum wir Patrick nicht in den Gemeindekindergarten geben wollten war, dass er zwar von einem IZB -Team betreut werden könnte, die Sonderkindergärtnerin aber nur einmal in der Woche mit ihm arbeitet würde. So kam es, dass ich mich auf die Suche nach einem geeigneten Integrationskindergarten machte. Dies schien am Anfang äußerst schwierig. Bei jedem Kindergarten mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass die Anmeldung meist schon kurz nach dem 1. Geburtstag des Kindes erfolgen musste und wir nur bei Ausfall eines anderen Kindes einen Platz bekämen.
In der reinen Behindertengruppe hätte Patrick sofort einen Platz bekommen, doch dies wollte ich unter keinen Umständen. Aber allen Zweifel zum Trotz kam von einem Integrationskindergarten plötzlich ein Anruf, dass ein Kind den Kindergarten verlassen hatte und Patrick sofort einsteigen könnte. Wie groß war meine Freude und natürlich auch die von Patrick, aber es war für unsere Familie nicht sehr einfach Patrick so einfach “gehen zu lassen”. Mein kleiner Patrick wurde nun immer selbständiger und dieser Entwicklungschritt war vor allem für mich als Mutter sehr schwierig. Nicole hatte nun ihre Kindergartenfreunde in unserer Gemeinde, Patrick seine in Graz.
Er besucht nun schon das dritte Jahr den Integrationskindergarten und seine Fortschritte sind wirklich enorm. Der nächste Schritt wird sein, dass Patrick die Volksschule in unserer Gemeinde besuchen wird, jene Schule in die auch seine Schwester geht. Auf Grund der kleinen Schülerzahl (die Gesamtanzahl der Schüler, die diese Schule besuchen beträgt ca. 30), bekommt er zwar nur stundenweise einen Stützlehrer, aber dies finde ich für Patrick als ausreichend. Somit ist er in seinem schulischen und sozialen Umfeld integriert und durch das Engagement der Lehrer, die an dieser Schule unterrichten, habe ich ein sehr gutes Gefühl, dass Patrick auch diesen Lebensabschnitt gut bewältigen wird.
Für Nicole war es eine große Freude, als ihre Lehrerin im Vorjahr über das Anderssein von Patrick ihren Schulfreunden erzählte. Sie war es, die diesen “besonderen” Bruder hatte, der zwar sehr oft lästig aber doch etwas ganz Besonderes war und ist.
Ich selbst sehe zum heutigen Zeitpunkt optimistisch in die Zukunft. Patrick wird mit unserer Unterstützung seinen Weg gehen, wir müssen ihn nur in seinen Schwächen unterstützen und sehr klar seine Grenzen setzen. Nicole, unsere “Große” empfindet Patrick zum heutigen Zeitpunkt zwar sehr oft als lästigen kleinen Bruder, der immer wieder seine neugierige Nase in ihre Sachen steckt, doch im Grunde genommen sind sie ein Herz und eine Seele. Zwei kleine Streithähne, die trotzdem gemeinsam durch Dick und Dünn gehen.
Gedanken über meinen Bruder Patrick, von Nicole:
Mein Bruder Patrick ist 6 Jahre alt und geht in den Kindergarten. Es gefällt ihm im Kindergarten sehr gut. Patrick kommt heuer in die Schule und freut sich schon sehr darauf.
Er ist ein lustiger Bub. Vor zwei Jahren hat ihn der Hund von meiner Oma gebissen. Patrick musste ins Krankenhaus und hat eine Woche bleiben müssen. Da war ich wirklich sehr traurig. Manchmal streite ich mit meinem Bruder, aber eigentlich möchte ich dies überhaupt nicht. Doch Patrick ist oft sehr lästig. Er macht gerne Musik und spielt sehr gerne Fußball. Oft steht er dann im Tor, denn er kann schon ganz gut den Ball fangen. Patrick hat ein bisschen Probleme beim Zeichnen, aber das wird er auch noch lernen. Ich freue mich schon darauf, wenn er mit mir in die Schule geht.
Eigentlich mag ich ihn sehr und bin froh, dass er mein Bruder ist.